Kleine Schritte vom Frontalunterricht zur Individualisierung

  

Mit der „Individualisierung im Unterricht“ auf unterschiedlichen Lernwegen zum gleichen Lernziel

 

Manchmal hat Katharina M., Klassenlehrerin der Klasse 2a, bei den Korrekturen der Klassenarbeiten das Gefühl, sie müsse aus der Haut fahren:  Daniel könnte sicher zu den Besten der Klasse gehören – aber seine Klassenarbeiten zu korrigieren ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, die in einer 5 mündet. Warum nur? Hätte man mit ihm mehr üben müssen? Aber er versteht alles immer sofort – nur dann fängt er an, im Unterricht zu spielen, ist ständig abgelenkt, konzentriert sich nicht, verwechselt alles… Sicher, er ist unterfordert, aber mit seinen Mitschülern fühlt er sich sehr wohl. Und die anderen Kinder brauchen eben viel mehr Wiederholungen, besonders Leyla… Aber das ist wieder eine andere Baustelle.

 

In den letzten Jahrzehnten sind die Anforderungen an den Schulunterricht sehr gestiegen. Lehrkräfte finden sich im Spannungsfeld zwischen sehr heterogenen Klassen mit Kindern unterschiedlichster kultureller Herkunft und Lernerfahrung auf der einen Seite und einem immer straffer organisierten Lehrplan, der neben der Wissensvermittlung auch verstärkt gesellschaftliche Probleme aufzufangen versucht, auf der anderen Seite wieder. Ist in dieser Konstellation der herkömmliche – und immer noch an vielen Schulen übliche – lehrerzentrierte Frontalunterricht noch möglich? Nein, sagt Buchautor, Klassenlehrer und Schulleiter Heinz-Peter Boyken und stellt in seinem neuen Buch Kleine Schritte vom Frontalunterricht zur Individualisierung. Unterrichtsorganisation zur individuellen Förderung die Alternative vor:  Den „IdeAL“-Unterricht, ein auf Binnendifferenzierung basierender Unterrichtsstil, der es den Kinder ermögliche, Lernziele auf ihrem ganz individuellen Lernweg und in ihrem eigenen –tempo zu erreichen.  „Jedes Kind lernt anders.“, so Boyken. Das ist eine Tatsache, die in eine erfolgreiche Unterrichtsplanung einfließen sollte. „Es ist nicht immer möglich, den Schülern genügend Zeit zum Lernen zu geben. Aber es ist fragwürdig, dass die Schüler schneller (und gleichmäßiger) lernen, wenn sie alle zur gleichen Zeit gleiche Aufgaben bearbeiten.“  Im sogenannten „IdeAL“-Unterricht, Abkürzung für die „Individualisierung der Anforderungen beim Lernen“, werden deshalb Kinder nicht nur mit größeren Aufgabenmengen zum gleichen Thema beschäftigt, sondern ihrer Lernausgangslage und ihrem -tempo entsprechend mit Aufgaben verschiedener Schwierigkeitsgrade gefordert und mit Übungen zu ihren individuellen Fehlerschwerpunkten zielgerichtet gefördert.

 

 

Das selbstständige Arbeiten der Schüler in der Klasse nimmt in diesem Unterricht eine Schlüsselrolle ein. Nur wenn die Schüler von alleine wissen, was die Lehrkraft von ihnen erwartet und wie sie sich den Lernstoff erarbeiten können, habe der Lehrer den Rücken frei, um gezielt mit schwächeren oder sehr leistungsstarken Schülern zu arbeiten, erklärt Boyken. Aus seinen Erfahrungen von 35 Jahren Lehrtätigkeit stellt der Autor deshalb systematisch Methoden und Lernmittel vor, die es jedem interessierten Lehrer oder Lehrerin ermöglichen sollen, den eigenen Unterricht Schritt für Schritt umzustellen – egal mit welchen Vorkenntnisse man sich diesem Thema nähert. Die Klassenlehrerin Katharina M. bekommt so beispielsweise bereits am Anfang Anregungen, wie sie den Klassenraum so umgestalten kann, dass sie in der Unterrichtsgestaltung möglichst flexibel mit unterschiedlichen Fördergruppen arbeiten kann. Außerdem bekommt sie Tipps, wie sie mit den Kindern – ebenfalls Schritt für Schritt – das selbstständige Arbeiten üben kann und welche Klassenregeln sie in ihrer neuen Rolle als „Lernberaterin und –begleiterin“ entlasten können. Um die Förderung zielgerichtet anzusetzen, wird der Leser mit Methoden der qualitativen Fehlerdiagnostik vertraut gemacht und erfährt außerdem, nach welchen Kriterien Lernmaterialien aus dem Bestand der Schule ausgewählt werden können – egal ob es sich um die Arbeit mit leistungsstärkeren Schülern wie Daniel handelt oder mit leistungsschwächeren Kinder wie Leyla. Und last but not least werden Methoden und Instrumente vorgestellt, die es der Lehrkraft bei all der Individualisierung im Unterricht noch ermöglichen, die Übersicht und die Kontrolle über die Lernentwicklung der einzelnen Schüler zu wahren.

 

Die Motivation für dieses Buch gewann Boyken aus dem Kontakt mit Lehrkräften an anderen Schulen, durch Fragen und Problemstellungen, die in den zahlreichen Fortbildungen thematisiert wurden, die der Autor in den vergangenen Jahren zum Thema „Individualisierung im Unterricht“ durchgeführt hat. „Der Wunsch, den eigenen Unterricht zu verändern, ist bei vielen Lehrkräften durch neuere Erkenntnisse der Pädagogik entstanden.“ erläutert der Autor im Vorwort. „Dabei sollten veränderte Lernmethoden den Schülern das Lernen erleichtern. Fast gleichzeitig haben sich die Zusammensetzungen der Schulklassen so dramatisch verändert, dass der früher mögliche gemeinsame Unterricht für alle Kinder heute praktisch kaum noch möglich ist.“ Um solche dringend notwendig gewordenen Unterrichtsveränderungen möglichst konkret und klar darzustellen, werden in Kleine Schritte vom Frontalunterricht zur Individualisierung. theoretische Passagen mit Beispielen und konkreten Unterrichtsideen ergänzt. Jeder Lehrer sollte so an der Stelle abgeholt werden, an der er mit der Gestaltung seines Unterrichts gerade steht.

 

Auf der mitgelieferten CD gibt es 480 Dateien und 20 Dateiordner mit sofort ausdruckbaren Kopiervorlagen für Arbeitsblätter und kompletten Karteien zum selbstständigen Bearbeiten durch die Schüler. Besonders hervorgehoben werden sollen dabei die Arbeitsmittel für den sofortigen Einsatz bei leistungsschwachen und auch den leistungsstärkeren Schülern. .

 

 

Heinz-Peter Boyken: Kleine Schritte vom Frontalunterricht zur Individualisierung. Unterrichtsorganisation zur individuellen Förderung, Coverport 2010, 228 Seiten mit CD-Rom